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Abortion - Eine erbitterte Debatte mit folgenschweren Konsequenzen in den USA (IV) - Historie

Veröffentlicht am 31.07.2023

Bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts sicherten die strengen gesellschaftlichen Normen, die vor allem für weiße Frauen aus der angelsächsischen Mittel- und Oberschicht galten, paradoxerweise die Kontrolle über ihre reproduktiven Belange. Sie blieben als ‘Frauenangelegenheiten’ hinter verschlossenen Türen deren private Entscheidung. Das Wissen über Schwangerschaft, Entbindung und Verhütung war fast ausschließlich die Domäne von Frauen.

Dies änderte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte. Einhergehend mit der Professionalisierung der Ärzteschaft hinsichtlich Ausbildung und Beruf, vertraten die Mediziner zum einen sehr erfolgreich die Ansicht, dass anstelle weiblicher Hebammen nur lizensierte männliche Ärzte für die Betreuung von Frauen während ihrer gesamten reproduktiven Lebensphase zuständig sein sollten. Zum anderen wurden zum ersten Mal Abtreibungsgesetze in den einzelnen Bundestaaten kodifiziert (wie z.B. 1821 in Connecticut). Jede Frau, die Gift oder andere Substanzen mit der Absicht einnahm, eine Schwangerschaft zu beenden, konnte nun wegen einer “kriminellen Abtreibung” bestraft werden. Gleiches galt für jede Person, die dieses Ziel unterstützte1.

Fanatischer Wortführer für das Bestreben, eine Abtreibung in jedem der 31 US-Bundesstaaten als illegal zu erklären, war seit 1857 der junge Gynäkologe Horatio Storer. Berühmt-berüchtigt wurde er unter anderen mit seinen Thesen (1865) über die Ursprünge des weiblichen Wahnsinns, in dem er für eine Ovariektomie (Entfernung von einem oder beiden Eierstöcken) bei Frauen plädierte, die ”aus Gewohnheit diebisch, profan oder obszön, niedergeschlagen, maßlos, zänkisch oder einfältig sind. Die beste Lösung ist die Entfernung der Ursache dafür, nämlich die weiblichen Reproduktionsor-gane”2. Er argumentierte weiterhin, dass eine Abtreibung kein medizinischer Eingriff sei, sondern ein schweres Verbrechen, ein unmoralischer, krimineller Akt, der das Ansehen seiner Berufsklasse schmälerte. Innerhalb der neu etablierten American Medical Assoziation fand er mehr und mehr Unterstützung für seine “Ärzte-Kampagne gegen Abtrei-bung”, deren Wirksamkeit in der Öffentlichkeit sich auch in der diesbezüglichen Straf-gesetzgebung widerspiegelte3. Gleichzeitig diskreditierte er den Beruf der Hebammen, indem er sie als “unhygienisch, unsauber, unmoralisch und so unwissend wie die Mütter selber” beschrieb4.

Für die Gegner eines Schwangerschaftsabbruches handelte es sich dabei allerdings nicht nur um ein moralisches Vergehen. Der stetige Zustrom von Immigranten (z.B. aus China), das Anwachsen der Städte, insbesondere aber das Ende der Sklaverei schürte bei Ärzten wie Horatio Storer die Angst, dass nicht genügend weiße Babys geboren würden, um eine Überhandnahme “unerwünschter” Bevölkerungsgruppen zu verhindern. Sie wünschten sich mehr weiße Kinder für eine gesicherte Zukunft der Nation”5. So begann mit Horatio Storers Propaganda-Feldzug (physisican’s crusade) das “Jahrhundert der Kriminalisierung” im Hinblick auf Abtreibungen 6.

 

Referenzen
1) https://www.nationalgeographic.com/history/article/the-complex-early-history-of-abortion-in-the-united-states
2) https://timeline.com/horatio-storer-criminal-abortion-c433606491da
3) https://www.nationalgeographic.com/history/article/the-complex-early-history-of-abortion-in-the-united-states
4) https://www.npr.org/2022/05/18/1099795225/before-roe-the-physicians-crusade (abgerufen am 27.Juli 2023)
5) https://www.nationalgeographic.com/history/article/the-complex-early-history-of-abortion-in-the-united-states
6) https://www.npr.org/2022/05/18/1099795225/before-roe-the-physicians-crusade (abgerufen am 27.Juli 2023)

 

© Text: Michaela Schneider, Frauen in der Einen Welt

zu den Fortsetzungen: (I) (II) (III) (IV) (V) (VI) (VII) (VIII)

  • Historie
  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1973 Roe versus Wade
  • Bundesverfassungsgerichtsurteil von 2022 (Dobbs versus Jackson)
  • Gesellschaftliche Konsequenzen

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